Wie leben Asylsuchende in Sachsen?

In den Unterkünften leiden Asylsuchende oft unter mangelnder Privatsphäre, psychischem Stress und sozialer Isolation, die krank machen kann. Auf engem Raum müssen zumeist traumatisierte Menschen aus verschiedenen Ländern und sozialen Hintergründen gemeinsam leben.

Grafische Darstellung Unterkunft Asylsuchender Sachsen

Die Unterkunftssituation

In Sachsen sind etwa 65% aller Asylsuchenden dezentral, also in Wohnungen, untergebracht. Dabei gibt es Landkreise wie der Vogtlandkreis und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, wo mehr als 85% der Asylsuchenden in Wohnungen leben – anders als im Landkreis Bautzen, wo dies nur 26% dürfen (Stand: 31.12.2019).

Die Gemeinschaftsunterkünfte variieren zwischen 5 und 450 Plätzen. In der Grafik sind Empfehlungen der Sächsischen Verwaltungsvorschrift dargestellt. Die realen Zustände in den Heimen sind sehr unterschiedlich. Manche sind in kleine Wohneinheiten unterteilt, in anderen teilen sich alle Bewohner_innen eine Küche und sanitäre Einrichtungen, die oft in sehr schlechtem Zustand sind. Allen ist gemein, dass die mangelnde Privatsphäre, der psychische Stress und die soziale Isolation Menschen krank machen. Auf engem Raum müssen zumeist traumatisierte Menschen aus verschiedenen Ländern und sozialen Hintergründen gemeinsam leben.

Unverbindlich empfohlen wird, dass 1 Sozialarbeiter_in für 150 Asylsuchende zuständig ist.

Die Umsetzung der Verwaltungsvorschrift liegt in der Verantwortung der Städte und Kommunen. Ihr politischer Wille entscheidet, ob Asylsuchende menschenwürdig untergebracht werden.

Ansprüche und Anspruchseinschränkungen Asylsuchender

Das Asylsystem ist kompliziert und der rechtliche Status entscheidet, welche Ansprüche und Beschränkungen die jeweilige asylsuchende Person hat. Für die meisten Asylsuchenden trifft Folgendes zu:

  • Amtssprache ist Deutsch. Daher sind auch alle Briefe der Behörden auf Deutsch. Mittlerweile haben die meisten Asylsuchenden in Sachsen Zugang zu Deutschkursen. Ausgenommen davon sind Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“. Viele Geflüchtete haben jedoch aufgrund ihrer isolierten Situation nur wenig Möglichkeiten Deutsch zu üben.
     
  • In den ersten 15 Monaten des Aufenthalts haben Asylsuchende nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen das Recht auf ärztliche Versorgung. Was akut ist, bestimmt das Sozialamt. Dieses gibt einen Krankenbehandlungsschein im Bedarfsfall aus. Krankheiten, die deswegen nicht behandelt werden, werden chronisch. Seit 2015 haben die Bundesländer das Recht, die Gesundheitskarte für Asylsuchende einzuführen. Damit könnten Asylsuchende direkt zu Ärzt_innen gehen, um sich behandeln zu lassen. Im April 2020 wurde dies in Dresden als bislang erste sächsische Kommune umgesetzt. Nach 15 Monaten erhalten Asylsuchende in der Regel eine Gesundheitskarte analog zur gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kosten werden vom Sozialamt übernommen.
     
  • In den ersten 3 Monaten gilt ein generelles Arbeitsverbot. Danach gilt das Arbeitsverbot weiterhin für Asylsuchende, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen und für Geflüchtete aus „sicheren Herkunftsstaaten“. Die Ausländerbehörde kann auch Menschen mit Duldung oder Personen, deren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ oder unzulässig abgelehnt wurde, ein Arbeitsverbot erteilen.
     
  • Erwachsene alleinstehende Asylsuchende erhalten bei dezentraler Unterbringung 344 € im Monat, in Sammelunterkünften 310 € – sofern sie Bargeldleistungen erhalten. Nach 18 Monaten wird der Satz auf Hartz 4-Niveau angehoben. Er kann aber unter bestimmten Voraussetzungen drastisch gekürzt werden, bsw. wenn Geflüchtete nicht bei der Passbeschaffung mithelfen. In Gemeinschaftsunterkünften können Asylsuchende auch ausschließlich Sachleitungen bekommen, wenn der Verwaltungsaufwand dafür nicht zu hoch ist.
     
  • Asylsuchende dürfen sich in den ersten 3 Monaten nur in einem festgelegten Bereich aufhalten. Möchten sie diesen Bereich verlassen, müssen sie einen „Urlaubsschein“, bzw. „Verlassenserlaubnis“, bei der Ausländerbehörde beantragen. Ab dem 4. Monat des Aufenthalts – sofern sie die Erstaufnahmereinrichtung verlassen haben – ist die Residenzpflicht für eine Reihe von Geflüchteten aufgehoben; andere sind von der Erleichterung ausgeschlossen. Wiederholte Verstöße gegen die Residenzpflicht sind Straftaten und werden mit Geldstrafen oder Freiheitsentzug bis zu einem Jahr geahndet. Die Residenzpflicht existiert innerhalb der EU nur in der Bundesrepublik.

Kinder und Jugendliche im Asylsystem

71.421 Kinder und Jugendliche haben 2019 einen Asylerstantrag in Deutschland gestellt. Damit machen sie die Hälfte der Asylerstanträge aus. Die meisten leben zusammen mit erwachsenen Familienangehörigen. Kinder und Jugendliche gelten als besonders schutzbedürftig. Daher gelten für sie teilweise andere Regeln. Familien mit minderjährigen Kindern dürfen beispielsweise nicht länger als sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Das gilt auch für Familien aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“.

Unsichere Zukunftsaussichten, Angst vor Abschiebung, Polizeieinsätze und mangelnde Privatsphäre prägen den Alltag von Kindern und Jugendlichen in Erstaufnahmeeinrichtungen. Kinder unter- stützen ihre Eltern häufig als Dolmetscher_innen. Sie übersetzen bei Arztbesuchen und Behördengängen und erleben so die Ohnmacht und Ängste der Eltern unmittelbar mit.

Während des Aufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung bzw. dem AnKER-Zentrum besuchen Kinder und Jugendliche keine Regelschule oder Kita. In Sachsen gibt es ein Lernangebot, das jedoch nicht vergleichbar mit regulärem Unterricht ist. Damit verstößt Deutschland laut einem Gutachten des Deutschen Kinderhilfswerks gegen die UN-Kinderrechtskonvention, nach welcher drei Monate nach Ankunft der Schulbesuch ermöglicht werden muss. Kommen Kinder und Jugendliche in die Regelschule, gibt es für Schüler_innen ohne ausreichende Deutschkenntnisse Vorbereitungsklassen.

Einige Kinder und Jugendliche fliehen ohne Begleitung von Familienangehörigen oder verlieren diese auf der Flucht. 2019 sind 96 unbegleitete Minderjährige nach Sachsen gekommen. Für sie ist das Jugendamt zuständig und sie bekommen einen rechtlichen Vormund. Meistens wohnen die Jugendlichen in sozialpädagogischen Wohngruppen. Viele erhalten keinen festen Aufenthaltstitel, sondern lediglich eine Duldung. Dies bedeutet ein Aufwachsen mit Zukunftssorgen, Probleme bei der Ausbildungsplatzsuche und evtl. Abschiebung. Nach dem 18. Lebensjahr wird geprüft, ob sie in Deutschland bleiben können oder abgeschoben werden.

Viele Verschärfungen, wenig Erleichterungen – Das deutsche Asylrecht

Mit der steigenden Zahl von Asylanträgen kam es in der Vergangenheit fast automatisch zu Asylrechtsverschärfungen.
 

Zu den Verschärfungen des Asylrechts seit 2015 zählen u.a.:
  • massive Hürden für den Familiennachzug subsidiär Schutzberechtigter
     
  • Einführung der Wohnsitzauflage: anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte müssen für 3 Jahre in dem Bundesland wohnen bleiben, in dem sie das Asylverfahren durchlaufen haben. Sie kann auch auf einen bestimmten Ort beschränkt werden.
     
  • Einstufung von Albanien, Kosovo, Montenegro als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten
     
  • Erleichterung von Abschiebungen
     
  • Ausweitung der Möglichkeiten Geflüchtete zu inhaftieren; Durchführung von Abschiebungshaft in normalen Gefängnissen ist wieder möglich
     
  • neue Form der Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ mit verschärften Bedingungen
     
  • Ausweitung der maximalen Aufenthaltsdauer auf 18 Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen und 24 Monate in AnkER-Zentren
     
  • mehr Möglichkeiten Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz einzuschränken
     

Ein Asyl-Paket nach dem anderen wurde verabschiedet. Die Rechte vieler Asylsuchenden wurden massiv eingeschränkt und das Bild von den „guten“ und den „schlechten“ Asylsuchenden wurde weiter zementiert.

Asylverfahren sollen immer weiter beschleunigt werden. Schnellere Verfahren bedeuten jedoch nicht qualitativ gute Asylverfahren: 2018 bekamen Geflüchtete, die gegen ihre Bescheide geklagt haben, in 31,4% der Fälle Recht. Über 30.000 Bescheide mussten revidiert werden.

Die Position der Bundesregierung ist deutlich: Nicht alle Menschen auf der Flucht sind willkommen. Abwehr und Bedrohungsszenarien stehen auf der politischen Tagesordnung. Das ist gefährlich. Denn so werden Hetze gegen und Übergriffe auf Geflüchtete und Menschen, die sich mit ihnen solidarisieren, geschürt.

Verschärfungen auch in Sachsen - AnkER-Zentrum

AnkER-Zentrum bedeutet alles unter einem Dach: Ankunft neuangekommener Geflüchteter, Entscheidung über den Asylantrag und Rückführung abgelehnter Asylsuchender. Nur wer eine positive Bleibeperspektive, also Aussicht auf Anerkennung des Asylantrags hat, darf in eine Kommune umziehen und bekommt Integrationsmaßnahmen.

Bis zu 1.500 Menschen können in einem solchen „Zentrum“ 24 Monate lang untergebracht werden. Das bedeutet Enge, Perspektivlosigkeit, Konfliktpotenzial. Auch besonders schutzbedürftige Personen, wie traumatisierte, psychisch kranke, schwangere oder alte Menschen müssen dort oft lange Zeit verbringen. Ärzt_innen warnen davor, dass die Lebensumstände krank machen.

Die Länder können, müssen sie aber nicht installieren. Neben Sachsen gibt es diese nur in Bayern und im Saarland.

Solidarität als Antwort

Es gibt sie überall in Sachsen: Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzen. Und damit der Hetze gegenüber Geflüchteten aktiv entgegentreten. Sie zeigen, dass es auch anders geht – nämlich offen und solidarisch.

 

Titelseite der Broschüre "Mal ehrlich. Flucht und Asyl in Sachsen"

Die jährlich aktualisierte Broschüre "Mal ehrlich. Flucht und Asyl in Sachsen" bietet Fakten zum deutschen Asylsystem, zu den Lebensbedingungen Asylsuchender in Sachsen sowie zu Möglichkeiten, sich für ein menschenwürdiges Asyl in Sachsen zu engagieren.
Sie ist erhältlich als PDF oder gedruckte Broschüre.